Beiträge zu unserer Arbeitsweise

Beziehungsarbeit

Vielen unserer Adressaten fehlen wesentliche Grunderfahrungen, die sie im Laufe ihres Lebens hätten machen müssen, um sich positiv entwickeln zu können. Hierzu gehört, als Kind von dauerhaften Bezugspersonen angenommen, versorgt, geliebt, genährt, beschützt zu werden, Geborgenheit, Verlässlichkeit, Förde­rung und Begrenzung, Orientierung und Freiheit, Zutrauen und Behütung vor Über­forderung zu erleben. Viele haben Ablehnung, Vernachlässigung, Unterversorgung, Schläge, Miss­hand­lung oder sexuellen Missbrauch erlebt und reagieren heute mit Beziehungsstö­rungen, Bindungslosigkeit oder mangelndem Selbstwertgefühl.

Wir arbeiten mit Kindern und Jugendlichen, die entwicklungshemmende, zum Teil traumatische Erfahrungen gemacht haben, sodass sie sich nur schwer errei­chen lassen. Sie können selten die herkömmlichen Formen von Zuwendung akzeptieren,  – im Gegenteil, sie provozieren mit Aggressionen und anderen negativen Annäherungs­versuchen, die leicht falsch verstanden werden. Es scheint, als ließen sie sich auf kein weiteres pädagogisches Angebot mehr ein, weil sie genug haben von persönlichen Enttäuschungen und Verletzungen. Vielfach muss also die Bereitschaft, neue Erfahrungen überhaupt machen zu wollen, erst wieder geweckt werden.

Da wir denken, dass diese fehlenden oder verzerrten Grunderfahrungen nur durch Menschen, nicht durch Institutionen ausgeglichen werden können und dass Erzieh­ung ohne Beziehung nicht möglich ist, steht die Beziehungsarbeit im Mittelpunkt unserer Arbeit. Wir glauben daran, dass unsere Adressaten sich verändern können und haben Vertrauen in deren Fähigkeiten zu persönlichem Wachstum. Wir wollen nicht nur Hilfen vermitteln, sondern stehen ihnen beim eigenen Bemühen um eine bessere Lebensqualität als Ansprechpartner zur Verfügung. Unser Anspruch ist es einen authentischen, emotionalen und dennoch pro­fessionellen Zugang zum Adressaten zu finden und auszubauen.

Um dies so effektiv und effizient wie möglich zu gestalten, bedienen wir uns verschie­dener methodischer Ansätze. Diese Fähigkeiten und Methoden bilden unsere instru­mentelle Kompetenz. Jene „Werkzeugseite“ unserer beruflichen Identität ist mit unter­schiedlichen Ansätzen und Verfahren ausgestattet. Sie reicht von Adressatenzen­trierter Gesprächsführung (vgl. Rogers, 1973) in Anlehnung an Rogers, Case-Management und handlungsorientierter Pädago­gik über familien­thera­peutische Methoden bis hin zur Themenzentrierter Interaktion (TZI), um nur einige wenige zu nennen.

Wir lösen dabei auch aus verschiedenen therapeutischen Ansätzen Techniken, Halt­un­gen, Arbeits- sowie Vorgehensweisen heraus und integrieren sie in die sozialpäda­gogische Arbeit. Es handelt sich um ein gezieltes Zusammenstellen einzelner methodischer Elemente in einem sozialpädagogischen Kon­zept, um den Versuch einer geplanten und kontrollierten Kombination und der Integration verschiedener Verfahren. Aus unterschiedlichen Quellen, Schulen, Systemen und Stilen werden Teile ausgewählt, die sich am besten eignen. Um es an einem Beispiel festzumachen: Die sozialpädagogische Beratung kann aus der Adressatenzentrierten Methode das „Aktive Zuhören“ in sich integrieren oder sich bei der Psychoanalyse bei dem Konstrukt der „Übertragung – Gegenübertragung“ bedienen, um die Effektivität sozialpädagogischer Methoden zu gewährleisten. In der Sozialen Gruppenarbeit trifft man des Weiteren häufig auf das aus der TZI abgeleitete Postu­lat, dass alle Störungen und Seitengespräche Vorrang haben, weil sie meist von Bedeu­tung sind.

Einen Ansatz zu entwickeln, der die Beziehungsarbeit zwischen Adressat und Pädagoge in dem Maße gestaltet, dass er universell, situations- und institutions­übergreifend einsetzbar wird, bleibt utopisch. Die sozialpädagogische Handlungs­situation muss von ihrem professionellen Helfer von Moment zu Moment neu „ausgelotet“ werden. Nur so kann gewährleistet sein, dass dieser seine Arbeit erfolgreich im Hinblick auf die Rahmenbedingungen erfüllt.

Akzeptanz, Empathie und Authentizität  (vgl. Rogers 1989, S.42) sind uns dabei besonders wichtig als Basisqualifikationen, über die jeder Helfer verfügen muss. Empathie soll allerdings nicht als Identifikation mit den Adressaten missverstan­den werden, sondern beinhaltet aktives Zuhören, das die Erfahrungen und das Selbstbild des Kindes klärt und erweitert, ohne dass der Mentor den Akteuren die eigenen Erfahrungen aufdrängt. Eine empathische Grundhaltung unserer Fachkräfte zielt auf einfühlendes Verstehen und soll es den Adressaten erleichtern, Vertrauen zu gewinnen und sich zu öffnen.

Akzeptanz setzen wir als Haltung um, die von der Wertschätzung der Adressaten geprägt ist, ihnen also Eigenwilligkeit und Eigenständigkeit zugesteht. Da unsere Le­benswelten und die unseres Adressaten teilweise weit auseinander liegen, ist es oft schwierig, sich in diese einzufühlen. Dabei geht es nicht um eine Verschmelzung der eigenen Lebenswelt mit der fremden, sondern ausschließlich um den Versuch, diese zu verstehen und in gewissem Umfang zu akzep­tieren. Differenzen in den Wertvorstellungen bleiben also bestehen. Sie lösen sich nicht in Akzeptanz oder Empathie auf. Es gilt vielmehr, diese Differenzen im Prozess der Betreuung oder Beratung sichtbar zu machen und zu bearbeiten. Das wird unterstrichen, wenn z. B. Rogers von Helfern Kongruenz einfordert, also Echtheit bzw. Authentizität im Umgang mit den eigenen Gefühlen und Wahrnehmungen und deren angemessene Widerspiegelung in der Auseinandersetzung mit dem Adressaten (vgl. Vogt 1999).

Aus der provokativen Therapie (Fußnote) entnehmen wir z.B. die Herstellung des „Guten Drahtes“ zum Adressaten. Diese gute Verbindung wird vom ersten Moment der Begegnung aufgebaut und möglichst beibehal­ten. Zur Realisierung einer vertrauensvollen und akzeptierenden Beziehung bringen wir unseren Adressaten zuerst einmal ein reales Interesse für deren Person und Biografie entgegen. Gegenseitige Sympathie sehen wir dabei als einen bedeutenden Faktor für den Beziehungsaufbau. Im Verlauf der Kontaktanbahnung soll ein „echter Zugang“ zu dem betreffenden Familiensystem entstehen, sodass beide von dem Beziehungsarrangement profitieren und ein Arbeitsbündnis eingehen. Wir arbeiten am Anfang  zumeist mit den Stärken des AdressatenAdressaten, da für Verhaltensänderung, bzw. für Kritik zunächst eine positive, vertrauensvolle und auf gegenseitigem Respekt ausgerichtete Beziehung entstehen muss. Die emotionale Zuwendung ist in dieser Phase eher sekundär, da viele unserer Kinder und Jugendlichen durch diverse Beziehungsabbrüche skeptisch und vielfach auch schon emotionslos geworden sind. Wird aber eine vertrauensvolle Atmosphäre geschaffen, in der sich der junge Mensch ernst- und angenommen fühlt, ist er meist in absehbarer Zeit auch in der Lage Zuwendung einzufordern. Die Authentizität spielt dabei eine tragende Rolle.

Des Weiteren geben wir den nonverbalen Botschaften eine große Bedeutung (Fußnote, Watzlawick). Das „Wie“ ist für die Kommunikation und die Beziehung wichtiger als das „Was“. Ausschlaggebend für den Erfolg eines Gespräches ist oft die innere Haltung des Helfers, die sich dem Gesprächspartner zu 90% durch nonverbale Signale erschließt und nur zu 10% durch das, was gesagt wird. Beispielsweise versuchen wir den Adressaten durch unkonventionelle Äußerungen zu überraschen und zu provozieren. Ergänzt durch die nonverbale Ebene kann Kommunikation dann „richtig“ gedeutet werden.

Nach systemischem Ansatz berücksichtigen wir die Beeinträchtigungen und Problemlagen ebenso, wie die vorhandenen Fähigkeiten und Ressourcen der Adressaten. Grundsätzlich gehen wir vom Bedarf der Adressaten aus und von der eigenen Zuständigkeit eines Menschen für sein Leben. Wir versuchen daher Selbsthilfekräfte zu aktivieren, mit starker Betonung bzw. der Orientierung an ihren Ressourcen.  Der Prozess am und mit dem Adressaten bestimmt sowohl das Tempo, als auch die hierfür erforderliche Zeitschiene. Menschliche Beziehungen kann man nicht erzwingen. Sie haben ihre eigenen Bedingungen, nämlich freiwillig und ungezwungen, sowie im Ganzen selbstbestimmt und selbstentscheidend. Wir bieten Verlässlichkeit, Kontinuität und Authentizität und schaffen die Atmosphäre, damit Beziehung möglich wird und sinnvoll gestaltet werden kann.

„Unsere“ Beziehungsarbeit fordert von unseren Fachkräften einen hohen persönlichen Einsatz und die Bereitschaft Enttäuschungen und Rückschläge auszuhalten, mit Skepsis, Frustration, Resignation, Angst, Trauer, Verzweiflung und zeitweiligen Aggressionen umzugehen, im kollegialen Team, unter fachlicher Unterstützungen zu reflektieren und neue Wege des weiteren Umgangs zu finden.